Man spricht ja von „Das Wiener Kaffeehaus“, aber jenseits dieses einfach dünkenden Begriffs schlägt erbarmungslos die Vielfalt zu. Nachdem v.a. touristisches Handeln eine martialische Reduktion von Komplexität voraussetzt, soll hier bloß eine Kaffeehaus Tour durch klassische Wiener Cafés vorgeschlagen werden.
Dauer der lukullischen Tour bzw. Tortentour: 1 Tag im Leben. Kosten: ein Vielfaches, je nach Aufnahme von Kalorien, Koffein und Schlagobers….

 
 
Café Landtmann (Kaffeehaus Tour Wien Station 1)

Beginnen wir die Koffein-Orgie im Café Landtmann, dem wohl berühmtesten Wiener Kaffeehaus neben dem Burgtheater an der Ringstraße. Eine Institution seit 1873.
Folgen wir den Spuren Sigmund Freuds, Gustav Mahlers, Marlene Dietrichs, Romy Schneiders und Hillary Clintons u.a. und studieren wir einmal ausgiebig die lange Liste der Kaffeesorten, bevor wir unser Herkunftsland wegen unsachkundiger Kaffeebestellung beschämen.

Geheimtipp: Starten Sie mit der Kaffeehaus Tour Wien am frühen Vormittag, damit Sie noch die wichtigen Besprechungen lokaler Politiker und Kommerzial- und Hofräte erleben. Danach strömen die Journalisten herein, mit ihrem unersättlichen Appetit auf Neuigkeiten aus den Polstermöbelséparées. Die Kellner dienen in diesem Theaterstück des kategorischen Konjunktivs als Regieasistenten und Informationszuträger. Wer wert auf einen Doktortitel legt, kommt hier nicht zu kurz.

Zur warmen Jahreszeit sei der Besuch der Terrasse empfohlen. Im Winter bleibt der Ausblick auf das Burgtheater nur den Insassen des neu errichteten Wintergartens vorbehalten. Er gleicht einer überdimensionierten Tortenvitrine, in der manchen Besuchern nicht bewusst zu sein scheint, dass man ist was man isst.

Frisch gestärkt geht’s weiter zum nächsten Wiener Kaffeehaus, dem Café Central. Wir biegen hinter dem Burgtheater nach links und stoßen auf die Herrengasse und sind schon da.

Das Café Central (Kaffeehaus Tour Wien Station 2)

Das Café Central im Palais Ferstel ist berühmt wegen seiner berühmten Gäste: Es gilt die Vergangenheitsform. Wie fast überall im klasischen Wiener Kaffeehaus.
Wir lassen den Blick durch das pseudo-gotische Gewölbe schweifen, erblicken eine Gipsfigur namens Peter Altenberg. Der Dichter war einst als Stammgast quasi ein Mobiliar des Caféhauses, welches zu seiner Zeit an einem anderen Ort im Palais Ferstel war. Altenberg ist als steinerner Gast mitgezogen. Tote sind geduldig.
Vom silbrigen Klappern der Kaffeelöffel erheitert, zieht es uns wieder an die frische Luft, die zu vermeiden man ja eigentlich ins Kaffeehaus geht. Wie sich ja insgesamt das Lebensgefühl des Kaffeehausbesuchers nur dialektisch erfassen lässt. Er selbst ginge ja ins Wiener Kaffeehaus, um alleine zu sein, wofür er eben Gesellschaft brauche, sagte Altenberg. Dieser Satz hat ihn überlebt. Demnach war das Leben im Wiener Kaffeehaus also eine analoge Frühform des Web 2.0.

Café Griensteidl/post mortem (Kaffeehaus Tour Wien Station 3)

Bis 2018 galt folgendes: Trunken von so viel kulturkritischem Bewusstsein trotten wir hinter selbstvergessenen Fiakern durch die Herrengasse zum Michaelerplatz. Was suchen wir dort? Das Café Griensteidl.
Wir stellen fest, dass zahlreiche andere Touristen dieselbe Idee hatten und tapfer einen Sitzplatz erkämpfen, was ein kultivierter Wiener, falls es ihn gäbe, nie tun würde. Denn zu einem echten Kaffeehausgenuss gehört jene Nonchalance, die einem nur angedeiht, wenn man mit Zeit und Raum etwas großzügiger umgeht und die kleinen, billigen Erfolge bereitwillig anderen überlässt.

Café Bräunerhof (4)

So wandert der über das Diesseits Erhabene weiter ins Café Bräunerhof in der Stallburggasse 2, wo weiland bereits der Schriftsteller Thomas Bernhard mit ähnlichen Weltinnensichten einkehrte. Nur konsequent, dass diese adelige Geisteshaltung auch mit einer gewissen Strenge beim Personal, und hier natürlich insbesondere beim Ober, einhergeht. Unkundige mögen dies leichtfertig mit ‚Grant’ oder dem diffusen Begriff ‚Unfreundlichkeit’ in Verbindung bringen. Das Mienenspiel verleiht die Ahnung von einem trotzigen Widerstand gegen all den Unbill des Lebens, bei dem man sich als Individuum so schnell verletzt und allein gelassen fühlen kann.

Diesen Schmerz in Würde zu ertragen ist eigentlich schon Dienstleistung genug und die Mimik der Ober macht aus dieser leidseligen Erkenntnis kein Geheimnis. Sollte sich also jemand nicht freundlich genug behandelt fühlen, so sei ihm gesagt: Ablehnung und Entsagung sind die Quellen neuen Begehrens und Sacher-Masoch war ein Wiener!

Wem jetzt plötzlich heiß wird, der plane den Aufbruch. Er wird entdecken, dass es gar nicht so einfach ist, zu bezahlen. „Der Kollege kommt gleich“ ist schieres Schielen auf Zeitgewinn. Der Wunsch zu zahlen gleicht gewissermaßen einem kafkaesken Amtsweg, an dessen Ende man das Trinkgeld erleichtert verdoppelt, froh, aus der Geiselhaft entlassen zu sein. Insofern gleicht der Kaffeehausbesuch einer Entführung. Jener bizarren Form der Gastfreundschaft, die einem meist nur in jenen Ländern widerfährt, wo der Kaffee seine Wurzeln hat.

Bei solchen Gedanken fühlen wir uns in die stark entschärfte Rolle eines Abenteuertouristen versetzt und somit durchaus angeregt, unseren Pfad durch das Dickicht der Kaffeehausmetropole heldenhaft fortzusetzen, frohgemut, dass die Abenteuer doch nicht alle nur im Kopf stattfinden müssen.

Café Tirolerhof (5)

Auf dem Weg zur Oper, am Albertinaplatz, müssen wir uns entscheiden: gehen wir ins Café Tirolerhof, ins Café Mozart oder gleich ins Café Sacher? In letzterem könnten wir uns mit den famosen Sacherwürsteln stärken, doch haben wir keine Krawatten umgebunden, die uns Einlass in diesen Tempel der Wiener Etikette verschafften. Das Café Mozart wirkt frisch renoviert, was in Wien allerdings als Terroranschlag auf das primäre und sekundäre Lebensgefühl empfunden werden kann. Wir ignorieren diese Provokation und gehen schräg vis-à-vis ins Café Tirolerhof. Zwischen dem glockenhellen Geplaudere höherer Töchter und dem leidenschaftslosen Rascheln stummer Zeitungsleser beißen wir knackend in Frankfurter Würstel, die überall Wiener heißen, nur nicht in Wien.

Zotti reloaded – Kulturkampf um’s Café Museum (6)

So gestärkt wagen wir uns an einen Ort des ewigen Wiener Kulturkampfs: das Café Museum. Ecke Operngasse/Karlsplatz gelegen, war es seit 1899 ein Wallfahrtsort für helle Geister wie Alban Berg, Hermann Broch, Canetti, Gustav Klimt, Kokoschka, Karl Kraus, Franz Lehar, Lenin, Robert Musil, Joseph Roth, Egon Schiele, Georg Trakl, Otto Wagner und Franz Werfel. Von Adolf Loos für damalige Verhältnisse karg eingerichtet und von Intellektuellen frequentiert, bekam es vom Kunstkritiker Hervesi die Bezeichnung ‚Café Nihilismus’. Anfang der 1930er Jahre (1931) wurde es vom Trentiner Architekten Josef Zotti neu eingerichtet (er hatte zuvor bereits den Schanigarten errichtet), was dem Lokal auch bis 2003 einen sehr urbanen, unprätenziösen Charakter verlieh, zuletzt mit reichlich Patina auf dem WC.

Dann die Apokalypse: um viel Geld wurde Loos originalgetreu wieder installiert. Das Amalgam aus ‚gut gemeint‘, Historyland und betulicher Kompensation fehlenden Stilempfindens erzeugte ästhetischen Brechreiz und katapultierte das Café Museum in das Premiumsegment der ewigen Spießerparadiese. Die Bezeichnung „Ground Zero des Guten Geschmacks“ wäre die in ihrer Wucht vergleichbare Geschmacklosigkeit gewesen. Seit Oktober 2010 heisst die Devise allerdings „Alles retour“: Loos raus, Zotti-style rein! Zotti reloaded. Die Evolution als Moebius-Schleife. Heute präsentiert sich das ‚Museum‘ als große Konditorei mit dominanter Kuchenvitrine. Zotti wurde ambitioniert und kostenaufwändig imitiert, es fehlt dem Café aber jene urbane Atmosphäre und Lässigkeit, deretwegen man früher kam. Die kommerzielle Betulichkeit und der beflissene Service kommen aber beim Publikum gut an.

Das Café Sperl (7)

Nach so viel Kampf ist Frieden angesagt. Wir finden ihn im Café Sperl. Es liegt etwas abgelegen in der Gumpendorferstraße/Ecke Léhargasse und verkörpert eigentlich den ursprünglichen Kaffeehausstil der Ringstraßenepoche. Im Sperl muss sich der Kulturkampf also auf biedermeierliche Elemente wie Kalorienzählen und Billardspiel beschränken. Die Einrichtung ist noch unmodern wie anno dazumal, rein historistischer Ringstraßenstil. Hier ist die Welt also noch in Ordnung. Die Kuchenvitrine bietet ein großartiges Panorama und der Chef mit Mascherl (Fliege) zählt noch vor den Augen der Besucher seine Umsätze.

Das Café Schwarzenberg (8)

Nach dieser Erholungspause werfen wir uns in die vorletzte Schlacht, jetzt geht’s ins Café Schwarzenberg Ecke Schwarzenbergplatz und Ringstraße. Das Café stammt noch aus der Zeit der Anlegung der Ringstraße 1861. 1938 hieß es Café Deutschland, aber das nicht für tausend, sondern für sieben Jahre. 1945 wurde das Café von den Sowjets okkupiert. Heute plätschert die Klaviermusik wie akustisches Feng-shui durch den Raum, prallt an die Fin-de-siècle Kulissen und droht den Insassen die permanente Harmonie an. Von der Caféterrasse aus hat man eine Perspektive auf Ringstraße und den Schwarzenbergplatz mit dem Hochstrahlbrunnen beim Befreiungsdenkmal. Dieses erinnert an die Sowjetarmee, die im April 1945 Wien von den Nazis befreit hat.

Das Café Prückel (9)

Und weiter geht’s. Das Café Prückel beim Dr.-Karl-Lueger-Platz empfängt uns mit heiterem Licht und freundlichen Polstermöbeln im Stil der 1950er Jahre. Architekt Oswald Haerdtl hat hier dezente Arbeit geleistet. Das Café ist ein beliebter Ort für Plausch, Leselust und Tagträumen – und natürlich Mehlspeisen. Wer aber glaubt, ein Recht auf Schmusen in der Öffentlichkeit eines Café haben zu müssen, der irrt. Die resolute Besitzerin verwies medienwirksam 2 Damen, die einander begehrlich zugetan waren, des Hauses. Was prompt eine öffentliche Erregung und Proteste bewirkte. Inzwischen ist dieser Kaffee auch schon wieder kalt geworden…